Meisterschüler deutscher Kunsthochschulen, Stiftung Burg Kniphausen, 1997
Ahmed Borai, Petra Kaltenmorgen, Peter Wolfgang Legner, Rolf Sextro
von Eckhard Scheider
Schneide weg was überflüssig, reduziere auf das Wesentliche.
Petra Kaltenmorgen protokolliert Gegenstände wie sie sind: pur als Material, Form, Körper, Oberfläche. Manchmal gehört dazu sparsam angedeutet ein knapp begrenzter Raum und fast immer die objekthafte Art der Präsentation, der auf Holztafeln aufgezogenen Fotografien.
Normale Gegenstände haben es nicht leicht. Wer will sie eigentlich noch bewußt wahrnehmen, vor allem wenn es sich um so alltägliche Dinge handelt wie Kochtopf, Ball, Stuhl, Teller, Wasserglas, Schlüsselbund, Dreieck. Da wird ein gewöhnlicher Hering zum Ding-Exoten. Designer versuchen ihr bestes, die Form von Gegenständen zu verbessern, und gelingt ihnen das nicht, so verlegen sie sich auf die Ausschmückung der Oberflächen. Dennoch, bestimmten Gegenständen haftet eine Grundform an, die auch bei leichten Modifikationen wie in einem Lesebuch für Analphabeten Sprachreiz und Verständnisleuchten auslöst: Kochtopf!
Petra Kaltenmorgen ist Fotografin. Was im herkömmlichen künstlerischen Prozeß durch Zeichnen und Malen dem Gegenstand an Bedeutung gegeben werden kann, müssen in diesem Fall das Objektiv, die Blende, die Brennweite, die Belichtungszeit, das Filmmaterial, die Kameraposition, der Entwicklungsprozeß und die Papiersorte leisten. Schnell entgleitet dabei im Zauber der unbegrenzten technischen Möglichkeiten, im subjektiven Verdrehen der Koordinaten das Sujet aus dem Blickfeld.
Diese Befürchtung ist bei Petra Kaltenmorgen unbegründet. Ihre Arbeiten lassen eher vergessen, daß es diesen langen Prozeß der Aneignung und Wandlung gegeben hat. Bei ihren Arbeiten gewinnt man den Eindruck, die Dinge hätten sich selbst ins rechte Licht gerückt: möglichst dicht an das Objektiv, keinerlei dramatische Lichteinfälle oder Reflexe, eher das wiederkehrende Licht jahrelanger Nutzung; möglichst groß wollen sie sein und im Bildformat exakt bis an die Ränder stoßen. Was sonst als sie selbst sollte auch noch von der Realität dazugehören? Häufig lassen die Dinge auf sich drauf oder in sich hinein schauen. Schließlich wissen wir, daß sie trotz aller unspektakulären Normalität Tiefe, Rundung und Volumen besitzen. Jede andere hineinlesbare Geschichte, wie z. B. individuelle Nutzungsspuren, prallt an ihnen ab. Sie stammen so sehr aus dem vieltausendfachen anonymen Heer der soziale Beliebigkeit, daß sie im dialektischen Umsprung ihrer frontalen Ästhetik zur Objektgrammatik und schwer zu verdrängenden Erinnerungsform werden.
Petra Kaltenmorgen steht damit in der Fotografentradition eines August Sander oder Alfred Renger-Patzsch und natürlich eines Heinrich Riebesehl, bei dem sie gelernt hat. Wie seine sind auch ihre Arbeiten nüchterne Protokolle der Realität. Aber während in Riebesehls Lichtprotokollen norddeutscher Landschaften eine subtile Dingmagie in den Relikten sozioökologischer Strukturen anklingt, verzichtet Petra Kaltenmorgen auf jegliche inhaltliche Stabilisierung des Faktischen. Die Dinge sind das, was sie sind, ‚povere‘ Form, ohne Erinnerung und ohne Zukunft – durch sich selbst definiert.